Begeisterung + Humor + Recherche = bester Service

Cicero, Horaz und Schopenhauer über den perfekten Zugbegleiter
Kategorie: Managen
Ralf Lengen | 16.12.2011 | 3 Kommentare

Artikelbild Gestern im ICE von Frankfurt nach Berlin: Mein Nachbar bestellt sich einen Cappuccino. Der Zugbegleiter: "Ich bringe Ihnen gerne einen leckeren Capuccino". Hey, denke ich: Da steht ja jemand hinter seinem Produkt!

Dann: "Möchten Sie zu Ihrem leckeren Cappuccino noch ein leckeres Stück Butterkuchen?" Mein Nachbar möchte nicht. 

Der Zugbegleiter bringt "den leckeren Cappuccino". "Möchten Sie einen Beleg?" -- "Nee, brauche ich nicht." -- "Manche Ehefrauen sind da kritischer." Jetzt hören auch die anderen Mitfahrer zu. Ein Lächeln huscht über ihr Gesicht.

Mit ihm macht Bahnfahren Spaß:
Enrico Gottwald.

Der Mann gefällt mir. Ich will mehr solcher Sprüche. Also bestelle ich zwei Snickers. "Zwei Snickers? Schön. Dann haben Sie ein leckeres Abendbrot."

Ich bekomme die zwei Snickers - mit einer wichtigen Erläuterung: "Die enthalten Natrium. In geringen Mengen. Deswegen haben Sie ja auch zwei genommen." Das freut mich sehr, meine Nachbarn auch. Wir kommen ins Gespräch. Animieren einander, weitere Sachen zu bestellen.

"Der wäre eine gute Werbefigur für die Deutsche Bahn", sagt mein Nachbar. Warum? Ich finde, aus drei Gründen: 1) Begeisterung, 2) Humor, 3) Recherche.


1) Begeisterung

Man merkt dem Mann an: Seine Arbeit macht ihm Spaß. Er liebt das Gespräch mit den Kunden. Er spricht gut über die Produkte. Und er spricht gut über seinen Arbeitgeber.

Ich frage ihn: "Warum sind Sie so gut drauf?". Seine Antwort: "Wenn man bei der Bahn arbeiten darf, sollte man gut drauf sein. Man trifft immer nette Leute im Zug. Mir geht es gut bei der Deutschen Bahn. Kann ich nur empfehlen."

Wissen Sie was? Der meint das wirklich so! Die Begeisterung steckt mich an. Kein Wunder, würde Cicero sagen:
„Denn wie kein Stoff so leicht zu entzünden ist, dass er ohne Feuer Feuer fangen könnte – so ist kein Herz so leicht empfänglich für die Wirkung eines Redners, dass es sich entflammen ließe, wenn der Redner nicht selbst entflammt und brennend an es herantritt.“

(Cicero: Über den Redner 2, 190)

2) Humor

Ich hake nach: "Was machen Sie, wenn Sie nicht gut drauf sind?" Er: "Dann habe ich Feierabend." Allgemeine Heiterkeit. Wir sind schon gespannt auf die nächste Dienstleistung (und den nächsten Kommentar!) von  ... wie heißt er überhaupt? Enrico Gottwald. So heißt er.

Seine nächste Dienstleistung: Er räumt die Reste des Festes vom Tisch: "Darf ich das schon mal mitnehmen? Ganz unauffällig, so dass Sie nichts merken?  Bei der Bahn herrscht Ordnung."

Wir freuen uns immer mehr, Horaz freut sich mit. Der empfahl nämlich, "mit Humor die Wahrheit zu sagen". Und:


"Der Leser begreift schneller und behält lieber das, worüber er lacht, als das, was er gutheißt und verehrt."

(Horaz: Briefe II 1, 262–263)

3) Recherche

Damit kein falscher Eindruck entsteht: Gottwald labert nicht einfach daher. Der Mann hat seine Hausaufgaben gemacht. Er weiß nicht nur, dass Snickers Natrium enthalten.

Kurze Zeit später kredenzt er ein Bier - mit den Worten: "Gebraut nach dem Reinheitsgebot von 1516".

Mit dem Mann wäre Schopenhauer gern Bahn gefahren:

"Daher nun ist die erste, ja, schon für sich allein beinahe ausreichende Regel des guten Stils diese, dass man etwas zu sagen habe: o, damit kommt man weit!"

(Arthur Schopenhauer: Über Schriftstellerei und Stil, in: Parerga und Paralipomena: kleine philosophische Schriften, Berlin 1851, § 283)


Zufriedene Mitarbeiter - zufriedene Kunden


Wir kommen pünktlich an. Das ist schön. Noch schöner: Wir fühlen uns gut. Wir wurden gut bedient, wir hatten Spaß, und wir sind ins Gespräch gekommen. Mit dreien meiner Sitznachbarn tausche ich die Visitenkarte aus.

Komm, Enrico Gottwald, noch ein Wort zur Deutschen Bahn: "Wir sind 293.000 Mitarbeiter. Wenn jeder anpackt, können wir einiges bewegen."

Stimmt.


Schlagworte: Service Begeisterung Humor Recherche
Kommentare: 3

Volker Kenner | 07:35 Uhr | 19.12.2011
Eine schöne Geschichte, mitten aus dem Alltag. Sie zeigt: es benötigt nicht immer großer oder bekannter Vorbilder. Jeder kann durch sein Verhalten ein Vorbild sein und sowohl sein Leben als auch das vieler anderer in seinem Umfeld bereichern.
Sandeline | 14:25 Uhr | 12.01.2012
Da macht nicht nur das Bahnfahren Spaß, sondern auch das lesen.
Herzlichen Dank!
Frank Schönbach | 13:41 Uhr | 14.01.2012
Eine scheinbar kleine und unscheinbare Geschichte, und wirklich gut erzählt und analysiert! Mein Glückwunsch, dass Du als viel Reisender sie so wahrgenommen, behalten und auch noch an viele weitergegeben hast.
Das sind doch genau die kleinen Juwelen von Alltagserfahrungen, die wir viel zu oft übersehen, weil wir den Kopf mit unseren eigenen Verpflichtungen, Sorgen und Anliegen so voll haben. Und dabei übersehen wir dann die Menschen , die uns auf ihre Weise freundlich (be)dienen, und die ein großes Stück von unserem Lebens-Wert ausmachen.
Ich erinnere mich aus meiner Studentenzeit in den 70ern an einen Verkäufer, dessen Bratwurststand bis spät in die Nacht immer von Kunden umlagert war. Er briet nicht nur die leckersten Würste in Gießen, sondern zeichnete sich auch durch einen ausgeprägten, wenn auch ziemlich wortkargen Mutterwitz aus. Auf jede Ansprache, machmal auch bewußte kleine Provokation aus der Kundenschar, schoss er nach 5-10 Sekunden Pause eine schlagfertige Antwort in einem kurzen Satz heraus, die alle zum Lachen brachte. So war der Imbiss dort immer ein doppelter Genuss, und mancher kaufte gleich noch eine zweite Wurst.
Grüße nach Berlin!
Kommentar schreiben:

Bitte kreuzen Sie das Feld an bzw. lösen Sie das Bilderrätsel:


Ihr Kommentar wird nach Prüfung freigegeben und veröffentlicht.