Betriebsgeheimnis als Marketingtrick

Was die Erfinderin der Currywurst, Gracián und Sherlock Holmes wussten - und meine Tochter auch
Kategorie: Managen Reden
| 01.01.2014 | 2 Kommentare

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Neujahrstag, gute Vorsätze, da hätte doch ein Besuch in einem Salat- oder Müslimuseum gut gepasst, oder? 
 
Ich muss Sie enttäuschen, wir haben uns als Familie für das Currywurst Museum entschieden (dabei, Vorsätze hin oder her, Currywurst gegessen - und uns gegenseitig mit 2-Meter-langen Schaumstoff-Pommes einen auf den Hintern gegeben).
 
In diesem leckeren Museum ist ein Raum Herta Heuwer gewidmet, der angeblichen Erfinderin der Currywurst. „Angeblich“ deshalb, weil gar nicht so sicher ist, ob sie wirklich die Erfinderin ist (und nicht etwa andere Berliner oder gar Hamburger, wie zum Beispiel im Wikipedia-Artikel gemutmaßt wird).












Warum gilt Herta Heuwer denn als die Erfinderin der Currywurst, genauer: der Currywurst-Sauce? Meiner Meinung nach aus zwei Gründen:
 
  1. Weil sie ihre Sauce beim Deutschen Patent- und Markenamt anmeldete.
  2. Weil sie nichts, aber auch gar nichts über die Zusammensetzung verriet.
 
Patent- / Markenanmeldung als Marketingschritt Nr. 1

Ja, ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, dass das Anmelden einer Marke oder eines Patents, unabhängig von den wichtigen rechtlichen Aspekten, ein wichtiger Marketing-Schritt ist.

Herta Heuwer hatte ihre Sauce als Patent angemeldet und damit schon Marketing betrieben. Wenn nun Redakteure über das weltpolitisch wichtige Thema „Currywurst“ berichten wollten, führten sie ein Interview mit wem? Mit Herta Heuwer.

Also: Wenn Sie auch nur das kleinste Bisschen erfunden oder entwickelt haben, melden Sie das unbedingt als Marke / Patent an! Aber das soll uns hier jetzt nicht weiter interessieren. Daher gleich zu Marketingschritt Nr. 2.


Geheimniskrämerei als Marketingschritt Nr. 2
 
Wenn die Redakteure mit Herta Heuwer sprachen, musste natürlich eine der Fragen, ja die Hauptfrage, lauten: „Welche Zutaten enthält Ihre Sauce eigentlich?“ Und was tat Herta Heuwer? Sie verriet nichts! Gar nichts. Das einzige, wozu sie sich durchringen konnte: In einem Fernseh-Interview (im Museum zu sehen) sagte sie, dass sie keinen Ketchup verwende. 
 
Warum tat sie das? Ich glaube, aus Angst vor der Konkurrenz. Damit die ihre Sauce nicht nachmachen konnte. Und das ist verständlich. Aber so verständlich wiederum auch nicht. 
 
Denn im Ernst: Meinen Sie nicht, dass die anderen nicht auch eine gute Sauce hergestellt haben? Manche vielleicht sogar eine bessere Sauce! (So behauptet Pepsi, dass bei Blind-Tests Pepsi-Cola der Coca-Cola vorgezogen worden sei. Mehr verkauft hingegen wird Coca-Cola, die nach Geheim-Rezept hergestellt wird - was den Test zufolge gar nicht so lecker ist).
 
Der viel wichtigere Punkt meiner Einschätzung nach: Mit ihrem hartnäckigen Schweigen machte Herta Heuwer richtig gutes Marketing! (Wahrscheinlich, ohne dass das ihre Absicht war, wenn ich meinem Eindruck trauen darf, den ich von ihr in den Fernseh-Interviews gewonnen habe - aber vielleicht unterschätze ich sie).
 
Warum das Schweigen gutes Marketing war und ist? Hätte nicht das Verraten des Rezeptes zu einem anständigen Rauschen im Blätterwald und zu einem Extra-Fernseh-Auftritt geführt? Ja, mag sein. Aber nach diesem Paukenschlag wäre Schluss gewesen mit der Berichterstattung. Es wäre ja alles raus gewesen! 
 
Vielleicht waren die Zutaten so entsetzlich banal, dass es viel klüger war, sie nicht zu verraten, als sie zu verraten und dann ein „Ach, so einfach geht das?“ zu ernten.
 
Jedenfalls hat Herta Heuwer mit ihrer Schweige-Taktik die von Baltasar Gracián empfohlene "Unergründlichkeit der Fähigkeiten" gewahrt:
 
Gracián"Der Kluge verhüte, dass man sein Wissen und sein Können bis auf den Grund ermesse, wenn er von allen verehrt sein will. Er lasse zu, dass man ihn kenne, aber nicht, dass man ihn ergründe." 

(Baltasar Gracián: Hand-Orakel und Kunst der Weltklugheit § 55, aus dem Spanischen übersetzt von Arthur Schopenhauer)
 
Herta Heuwers Know-how blieb unergründlich, weil sie ihr Rezept nicht herausrückte - nicht einmal gegenüber ihrem Ehemann Kurt. Daher gab es weiterhin viel über sie zu berichten, nicht zuletzt über ihre Geheimniskrämerei. So hat Harald Schmidt ihr in einer Fernsehsendung die Urkunde „Geheimnisträgerin 1. Klasse“ verliehen. Und schon gab es wieder etwas über die gute alte Currywurst-Dame zu schreiben und zu senden.
 
Was heißt das für Sie?
 
  1. Wenn jemand Ihnen sein Geheimnis nicht verrät, spricht es eher für diese Person als für das Geheimnis selbst. Die Wahrscheinlichkeit ist groß, dass gar nicht so viel dahintersteckt. 
  2. Wenn Sie jemand bittet, ein Geheimnis / Ihr Geheimnis zu lüften, tun Sie es nicht! Und wenn er Sie noch inständiger darum bittet, dann tun Sie es erst recht nicht! Denn wenn Sie es dann doch tun, ist sogleich der Zauber dahin!
 
Letzteres wissen auch die Zauberer und erklären uns darum nicht, wie sie uns reingelegt haben.

Auch Sherlock Holmes wusste es. Der wurde ja immer von dem nicht ganz so hellen Dr. Watson gebeten zu erläutern, wie er zu seinen erstaunlich scharfsinnigen Schlüssen gekommen sei. Holmes tat dies jedoch manches Mal nur widerstrebend, da er wusste: Wenn er erklärte, wie er zu dem jeweiligen Schluss gekommen war, dann wurde er von Dr. Watson nicht mehr ganz so enthusiastisch für seine Scharfsinnigkeit bewundert.

So sagt Dr. Watson in der Kurzgeschichte "Eine Skandalgeschichte im Fürstentum O...": "Wenn ich deine logischen Schlüsse anhöre, erscheint mir die Sache lächerlich einfach, und ich glaube es ebensogut zu können." Und in der Geschichte "Eine sonderbare Anstellung" sagt Holmes selbst:
"Ich fürchte, ich schneide mir ins eigene Fleisch, wenn ich etwas erkläre. Ergebnisse, die nicht begründet werden, sind viel beeindruckender."
(Arthur Conan Doyle: Das Abenteuer eines beim Börsenmakler Angestellten, The Strand Magazine, März 1893, Spalte 3)

Und als er auf Dr. Watsons Bitten eine Erklärung geliefert hatte und dieser daraufhin ausgerufen hatte "Wie lächerlich einfach!": 

"Jedes Problem wird kinderleicht, sobald es dir erklärt wurde."
(Arthur Conan Doyle: Das Abenteuer der tanzenden Männchen, The Strand Magazine, Dezember 1903, Spalte 2, Übersetzungen von mir) 
 
Und auch meine Tochter wusste es. Als ich sie nämlich fragte, wie sie mit ihrer Video-Kamera in einem Interview mit sich selbst den Bildausschnitt ohne Stativ und ohne fremde Hilfe so perfekt hinbekommen hatte wie in einer professionellen Fernseh-Doku, da … Ja, was, da? Da wollte sie es mir doch tatsächlich nicht verraten!
 
Letzte Woche dachte ich daraufhin noch, dass sie daran stunden-, ja tagelang herumprobiert haben musste. Nach der Beschäftigung mit der Currywurst-Königin bin ich mir da nicht mehr so sicher. Wahrscheinlich hat meine Tochter in einem Verzweiflungsanfall einen Stapel Bücher auf ihren Schreibtisch geknallt und die Video-Kamera darauf gelegt - und als das nicht gleich passte, noch eine CD-Hülle und zwei Postkarten unter die Kamera geschoben. 
 

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Schlagworte: Geheimnis Betriebsgeheimnis Schweigen Marketing
Kommentare: 2

Stefan U. Hegner | 10:59 Uhr | 06.01.2014
Ach Ralf, das war wirklich herzerfrischend zu lesen. - Und wieder einmal so wahr! Vielen Dank Dir für diesen unterhaltsamen und lehrreichen Blogbeitrag. - Wie Du das immer hinkriegst, wirst Du uns nun sicher nicht mehr verraten, erst recht nicht, wenn ich Dich inständig bedränge ... schade eigentlich ;-).
Ralf Lengen | 19:25 Uhr | 06.01.2014
Lieber Stefan, vielen Dank für Deinen freundlichen Kommentar! Tja, was soll ich dazu sagen? Die von Zauberern in einem solchen Fall übliche Antwort (zum Glück ironisch) lautet: "Das darf ich Ihnen nicht verraten! Ich müsste Sie sonst danach sofort töten."

Da verweise ich doch lieber auf eines meiner Seminare, in dem ich die Meistertricks präsentiere (bisher ist danach noch keiner eines unnatürlichen Todes gestorben), oder auf die Publikation "Die Schreibtricks der Meister."
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