Herr von Bismarck, ich habe gehört, Sie warnen vor guten Rednern? Warum das denn? Seien Sie doch froh, wenn die Leute gute Reden - heute spricht man von "Präsentationen" - halten.
Warum nicht?
"Es ist aber der Redner nicht immer der beste Beurteiler der Politik."
(Otto von Bismarck: Rede im Reichstag am 29. April 1881, aus dieser Rede wird auch im Folgenden zitiert.)
"Um ein guter Redner zu sein, gehört ein Stück vom Dichter, eine glänzende Improvisationsgabe dazu, wie wir das wohl früher selbst erlebt haben, bei öffentlichen Vorstellungen, wo Musik mit rednerischen Improvisationen abwechselte, dass ..."
... Entschuldigung, wenn ich unterbreche. Aber was ist daran so schlimm? Ist doch besser als wenn jemand vom Blatt oder von seiner PowerPoint-Präsentation abliest.
Vielen Dank, Herr von Bismarck. Erlauben Sie, dass ich Ihre These untermauere mit den Ausführungen von Susan Cain, die ein Buch mit dem Thema "Still. Die Kraft der Introvertierten" (4. Auflage, München 2013) geschrieben hat. Sie schreibt:
"Ich führe das nur an, um zu beweisen, dass die Beredsamkeit eine Gabe ist, die heutzutage über ihren Wert Einfluss übt und überschätzt wird über ihren wahren Wert."
"Wir halten Menschen, die gern reden, auch für Führungspersönlichkeiten. Je mehr jemand redet, desto häufiger schenken ihm die anderen Gruppenmitglieder Gehör, was bedeutet, dass er im Lauf der Konferenz immer mehr Macht bekommt." (S. 85)
Das gehe aus Studienergebnissen hervor, schreibt Cain und zieht zugleich die Schlussfolgerung, dass sich gute Redner in unserer Gesellschaft oft durchsetzen, auch wenn sie die schlechteren Argumente haben. Da will ich ihr gern - eigentlich müsste ich sagen: leider - recht geben.
Und wenn Sie jemanden einstellen: Setzen Sie nicht zu viel auf seine oder ihre Gesprächskünste. Vor allem dann nicht, wenn Sie jemanden einstellen, bei dem die rednerische Begabung nicht das zentrale Kriterium ist.