"Mitten im Leben" - so heißt seine aktuelle Tour, die seit September läuft, Entschuldigung: lief. Geplant waren Auftritte in Hamburg (24. Februar 2015), Berlin (18. März 2015), Bremen (24. März 2015) usw. usw. Daraus wird nichts mehr. Kein weißer Bademantel.
Der Titel seiner letzten Tour hätte passender nicht sein können. "Passender"? Müsste es nicht "unpassender" heißen? Ja und Nein.
Ja, der Titel war unpassend: Udo Jürgens stand nicht mehr mitten im Leben. Er war 80 Jahre. Punkt.
Nein, der Titel war passend - und wie! Ich weiß nicht, ob Udo Jürgens oder sein Management sich dessen bewusst war, aber: "Mitten im Leben" ist der Anfang eines berühmten und mehrfach belegten Zitates.
Der Urheber ist nicht bekannt. Evtl. hat es der karolingische Dichter Notker I. geprägt. Martin Luther hat mit diesem Spruch ein Kirchenlied anfangen lassen. Johann Peter Hebel zitiert den Spruch in einer seiner Geschichten des Schatzkästleins. So, das muss reichen, hier jetzt das Zitat:
"Mitten im Leben sind wir vom Tod umfangen."
Das ist ein ausgezeichneter Titel für eine Tournee, finde ich. Egal, ob für die erste oder wie bei Udo Jürgens für die 25. Denn der Spruch gilt immer. Der Tod kann immer kommen. Mit 80 Jahren wahrscheinlicher als mit 20 Jahren. Aber wer weiß? Und die von Udo Jürgens besungene Marke von 66 Jahren, bei der das Leben angeblich anfängt, erreicht nicht jeder. Sie vielleicht nicht, ich vielleicht auch nicht.
Dieser Spruch ist stark, weil er uns helfen kann, uns auf den Tod vorzubereiten und gute Entscheidungen zu treffen. Im Angesicht des Todes wird vielen Menschen bekanntlich klar, worauf es wirklich ankommt im Leben, in ihrem Leben. Sie merken, dass sie die Prioritäten falsch gesetzt haben. Sie wollen schnell noch nachholen, was sie versäumt haben.
Was Udo Jürgens nachholen wollte
Was könnte das bei Ihnen sein? Ich weiß, was es bei Udo Jürgens war. Er hat es selbst gesagt, in einem lesenswerten Interview mit dem Chefredakteur der Zeit, Giovanni di Lorenzo (mit dem bezeichnenden Untertitel "Worauf kommt es im Leben an"). Als der ihn nämlich fragte: "Glauben Sie denn, dass Ihre Kinder aufrichtig sind, wenn sie sagen, Sie hätten es richtig gemacht? Sie haben denen doch früher bestimmt enorm gefehlt.", sagte Udo Jürgens folgendes:
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"Wir versuchen das jetzt nachzuholen. Gestern hat mein Sohn mich angerufen: 'Papa, du fehlst mir einfach. Wir müssen was machen, damit wir uns wiedersehen. Du sagst schon seit Jahren, dass du weniger machen willst.' Und das habe ich mir wirklich ganz groß auf die Fahne geschrieben. Ich habe ein paar Warnschüsse bekommen, Schwindelattacken und solche Geschichten, die vielleicht mit dem Alter Hand in Hand gehen. Und ich will auch mehr Zeit für John und Jenny und meine Enkel haben."
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Lieber Udo Jürgens, dazu wird es nicht mehr kommen. John und Jenny und die Enkel werden keine Zeit mehr mit Dir verbringen können. Und Deine Tour 2014/2015? Das war eine schlechte Idee. Eine Tour mehr oder weniger, darauf wäre es nicht angekommen.
Wie bitte? Du sagst, das hast Du auch gedacht, als Du die "Warnschüsse" bekommen hast? Und dass du überlegt hast, die Tour abzusagen? Warum hast Du das nicht gemacht? Weil Du das Deinen Fans nicht antun wolltest? Warum nicht? John und Jenny sind doch wichtiger, oder nicht?
Udo Jürgens war ein begnadeter Komponist, Sänger, Unterhalter. Er hat die Lobeshymnen in seinen Nachrufen verdient. Aber reden wir nicht drumherum: Er hat die Prioritäten falsch gesetzt.
Das zu sagen, fällt mir leicht. Es besser zu machen, ist viel schwieriger.
Also, nun zu uns zu beiden, Ihnen und mir: Was ist uns wichtig? Wirklich wichtig? Bitte mal hier aufschreiben:
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Und nun die Frage: Leben wir auch entsprechend? Oder wollen wir das später nachholen?
Na?
Ich weiß nicht, ob wir besser abschneiden als Udo Jürgens.
bin gerade zugfällig auf Ihrer Seite gelandet .... und bedanke mich herzlich für die lebensklugen Gedanken. Was mir wichtig ist? Nun, auch das mir Wichtigste nicht länger aufzuschieben, wirklich zu leben und zu lieben. Und mir ist wichtig zu sein, statt immer nur zu tun...
Schöne Grüße,
G. Peters
:-)
vielen Dank für Ihren freundlichen Kommentar!
Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Erfolg - und dass Sie zum Wichtigsten kommen.
Beste Grüße
Ralf Lengen
Ja, aus Ihrer und auch aus meiner persönlichen Einstellung zu meinem Kind ist die Aussage richtig. Aber ist sie aus Sicht von Udo Jürgens richtig? Ich denke für Udo Jürgens war der Mensch 'Udo Jürgens' die Priorität 1.
Für ihn waren seine Kinder im Leben nicht vorrangig. Für Udo Jürgens war Erfolg, Musik und sein persönlicher Lebensspaß wichtiger. Also hat er doch aus seiner Sicht die Prioritäten richtig gesetzt. Nun meine Frage: Dürfen wir unsere Prioritäten von anderen Menschen erwarten/fordern?
Anmerkung:
Vor Jahren habe ich das erste Buch von Udo Jürgens gelesen und dachte mir: 'Wie egoistisch und selbstherrlich ist der Typ eigentlich.' Aber auch das ist nur meine persönliche Meinung.
Nur warum hat Udo Jürgens im Interview gesagt: \\\"Wir versuchen das jetzt nachholen [...] Und das habe ich mir wirklich ganz groß auf die Fahne geschrieben. [...] Und ich will auch mehr Zeit für John und Jenny und meine Enkel haben.\\\"
Hier lautet meine Einschätzung: Udo Jürgens hat selbst erkannt, dass er andere Prioritäten setzen müsste und hat sich dies vorgenommen. Doch diesen Vorsatz hat er nicht umgesetzt. Dafür bedaure ich ihn.
Es gibt so viele überragende Persönlichkeiten, die in ihrem Privatleben die reinsten \\\"Kotzbrocken\\\" sind. Wir verdanken ihnen Bücher, Gemälde, Kathedralen.
Naja, immerhin denke ich jetzt mal über \"richtige\" Prioritäten nach...
Viele herzliche Grüße
M. Fischer