Zuvor will ich noch den Angeber spielen und sagen, dass ich während meines Studienjahres in Bologna 1991/1992 eine Seminar von Umberto Eco besucht habe. Er war nämlich Professor für Semiotik und schon vor seinem Roman-Debüt ein anerkannter Mann. Um gleich wieder demütig zu werden: Ich habe das Seminar (es ging um künstliche Sprachen) nicht bis zum Ende besucht - und was schlimmer ist: Ich bin nicht der Einladung Ecos an die Studenten gefolgt, jeweils nach dem Seminar mit ihm einen trinken zu gehen. Dumm wie ich war, hielt ich das damals für Zeitverschwendung.
So, jetzt aber zum Meistertrick Ecos, den Sie bloß nicht befolgen sollten. Er steht in der "Nachschrift zum Namen der Rose". Dort berichtet Eco, wie er auf den Titel kam und nachdem er über etliche Titel in der Weltliteratur philosophiert hat, sagt er:
"Die Idee zu dem Titel "Der Name der Rose" kam mir wie zufällig und gefiel mir, denn die Rose ist eine Symbolfigur von so vielfältiger Bedeutung, dass sie fast keine mehr hat ..."
Umberto Eco: Der Name der Rose, München 1984, S. 11
Hä? Aber dann weiß der Leser ja gar nicht, was ihn in dem Buch erwartet, Herr Eco! Das ist doch verwirrend.
"Ein Titel soll die Ideen verwirren, nicht ordnen."
Umberto Eco: Ebenda.
Aha, Sie wollen also, dass der Leser gar nicht weiß, was ihn erwartet, sehe ich das richtig? Ist das der Grund, warum Sie den ursprünglichen Titel "Die Abtei des Verbrechens" später ersetzt haben?
"Ich habe ihn verworfen, denn er fixiert die Aufmerksamkeit des Lesers allein auf die Kriminalhandlung und war geeignet, bedauernswerte, ausschließlich auf harte Reißer erpichte Käufer zum Erwerb eines Buches zu verführen, das sie enttäuscht hätte."
Umberto Eco: Ebenda, S. 10.
Ich verabschiede mich hiermit von Umberto Eco und wende mich Ihnen zu. Die meisten meiner Leser schreiben Texte für die interne und externe Kommunikation. Deswegen gilt das, was Umberto Eco für sich als Romanschreiber reklamiert, eben nicht. Ich werde nicht müde, in meinen Seminaren zu wiederholen, dass Leser von Sachtexten nicht an Überschriften interessiert sind, die nicht klipp und klar sagen, was sie erwartet.
"Aber wir wollen doch Spannung erzeugen", sagen dann einige Seminarteilnehmer. - Und was antworte ich? "Wenn Sie unbedingt wollen, dann tun Sie das! Doch Sie riskieren damit, dass der Leser gar nicht erst weiterliest."
Und falls Sie das nicht überzeugen sollte: Google indexiert vorzugsweise nach den Überschriften. Wenn die User einen Begriff eingeben, der in Ihrer Überschrift vorkommt, dann steigt die Wahrscheinlichkeit, dass Ihr Artikel auf einem der vorderen Plätze steht. Übrigens bildet Google nur das Leseverhalten ab (und damit das Entscheidungsverhalten von Lesern, ob sie nämlich nach der Überschrift weiterlesen sollen). Also: Immer schön aussagekräftige Überschriften und Betreffzeilen schreiben!
Zum Schluss noch eine Anekdote aus einer Seminarstunde mit Umberto Eco. Als wir über einen Aushang am Schwarzen Brett diskutierten, meinte er:
Ich frage mich immer noch, ob er das wirklich nur ironisch meinte."Die zentrale Aufgabe der Universität besteht darin, den Studenten das Lesen des Schwarzen Brettes beizubringen."
In der Tat stand ich vor kurzem gerade vor einem Dilemma, wie es Umberto Eco umrissen hat: Ich schreibe ja, wie Sie wissen, hobbymäßig, und habe gerade einen Roman veröffentlicht. Nie habe ich mich so schwer getan bei einem Teasertext/Klappentext wie dieses Mal. Denn der Text muss ja sagen, worum es geht - aber gleichzeitig ganz viel geheimhalten, offenhalten, eben auch Raum für Fantasie lassen, damit man nicht schon vorher alles weiß. Anders als bei einem Sachbuch/Sachtext, bei dem ich vorher genau und alles wissen möchte, was drin steht. Gleichzeitig muss der Klappentext Lust machen, den Roman zu kaufen!
Wie Sie wissen, fallen mir sonst solche Text nicht schwer; auf den Punkt zu kommen, ist glaube ich eine meiner Stärken - aber hier war es ein Krampf. Ich habe drei volle Tage geschrieben, es immer wieder Freunden gezeigt - und immer stärker eingedampft. Am Ende blieb kaum etwas übrig von meinem ursprünglichen Anliegen, aber der Text wurde immer besser (und ist jetzt sicher noch verbesserungswürdig).
Jedenfalls ist es spannend zu sehen, wie man zwischen den verschiedenen Genres und Stilebenen hin und herspringen muss! Man muss sich vor allem die verschiedenen Gesetzmäßigkeiten von Wahrnehmung etc. und besonders die Zielgruppen veranschaulichen. Insofern ist „Der Name der Rose" total banal, sehr offen, ein Titel in diesem Stil könnte jedes zweite Buch schmücken - aber er ist poetisch und lässt Raum für eigene Gedanken.