Gebannt schauten wir zu. Oha! Er bemerkte uns und rannte los – hinter uns her. Das Messer in der Hand. Keine Frage, der Kerl wollte keine Mitwisser. Und im Kofferraum war noch Platz.
Zum Glück waren wir schneller, genauer gesagt, unsere Touristen-Bimmel-Bahn, die uns durch die Universal Studios kutschierte. Wir waren in Los Angeles, der zweiten Station unserer USA-Reise.
Der flexible Kontroll-Freak
Nun zu Hitchcock, dem Meister des Krimis: Was ist nicht schon alles über ihn geschrieben worden. Und über „Psycho“, den Krimi schlechthin, mit Janet Leigh und Anthony Perkins.
Hitchcock galt als Kontroll-Freak, der nichts dem Zufall überlässt. Der immer die Fäden in der Hand hält. Kein Chef, den man sich als Mitarbeiter wünscht, könnte man meinen. Weit gefehlt!
Hitchcock war zwar perfektionistisch. Aber er meinte nicht, alles besser zu wissen.
Nehmen wir „Psycho“: Der Typ mit dem Messer, also Anthony Perkins, hatte gemeinsam mit seinem Schauspielkollegen Martin Balsam eine Szene geprobt. Dabei stellte er fest, dass es interessanter wäre, wenn sich ihr Gespräch überschneiden würde. Ich weiß selbst nicht, was er damit meint, aber das ist hier nicht wichtig.
Zuerst wagte er nicht, dies Hitchcock vorzuschlagen. Ihm war gesagt worden, die Storyboards seien unantastbar. Er tat es dann doch. Die Reaktion von Hitchcock?
„Probieren Sie es!“
(Charlotte Chandler: Hitchcock. Die persönliche Biographie, aus dem Amerikanischen von Dagmar Roth, München 2005, S. 314.)
Also probierte es Perkins. Hitchcock ließ sich überzeugen und warf das Storyboard in den Papierkorb.
Zuerst „absolut dagegen“, dann „ganz klar“ dafür
Zweites Beispiel: Für die berühmte Duschszene wollte Hitchcock partout keine Musik.
Der Komponist Bernard Hermann nahm dennoch Musik auf, synchronisierte sie und wollte Hitchcock das Ganze vorführen. Zunächst weigerte sich Hitchcock, schaute sich den Ausschnitt dann aber doch an. Sein Kommentar:
„Wir müssen die Musik nehmen, ganz klar.“
(Ebd., S. 322)
Hermann war erstaunt und fragte Hitchcock nach seinem Sinneswandel: „Aber Sie sagten doch, Sie seien absolut dagegen“, woraufhin Hitchcock seinen Irrtum eingestand (ebd.).
Drei Lektionen für Chefs
Als Führungskraft können Sie daraus dreierlei lernen:
1) Wisse, was du willst
Hitchcock wusste genau, was er wollte. Er strahlte Sicherheit aus und war kein Spielball für seine Angestellten.
2) Lass die Mitarbeiter anderes ausprobieren
Auch wenn Sie wissen, was Sie wollen: Seien Sie so flexibel und lassen Sie die Mitarbeiter etwas anderes ausprobieren. Achtung: Es heißt hier nicht ‚Lass die Mitarbeiter machen!’ Hitchcock schaute sich in beiden Fällen die Ergebnisse an und entschied erst dann, dass es gemacht wurde, wie von den Mitarbeitern vorgeschlagen.
3) Lass dich überzeugen
Wenn das Ergebnis Sie überzeugt, dann beharren Sie nicht auf Ihrer ursprünglichen Meinung! Aber nur dann.
Zwei Lektionen für Mitarbeiter
Als Mitarbeiter können Sie von Perkins und Hermann zweierlei lernen:
1) Habe Mut zum Widerspruch
Perkins und Hermann wussten, dass Hitchcock seinen eigenen Willen hatte und sich vermutlich nicht überzeugen lassen würde. Sie probierten es dennoch.
2) Widersprich erst, wenn du viel Zeit investiert hast
Beide Mitarbeiter haben nicht einfach so widersprochen. Sie haben ihre Vorschläge vorher getestet. In Hermanns Fall war der Aufwand besonders groß: Er hat die komplette Musik aufgenommen.
Der gemeinsame Erfolg
Der Erfolg kommt also dann, wenn Mitarbeiter Mut zum Widerspruch haben, dafür viel Zeit investieren und die Chefs zwar wissen, was sie wollen, aber sich dennoch von guten Anregungen der Mitarbeiter überzeugen lassen.
Dies gilt für „Psycho“ insgesamt, aber besonders für die Duschszene. Die zählt nämlich laut Wikipedia „sowohl visuell als auch musikalisch zu den bekanntesten und meistzitierten Szenen der Filmgeschichte“ (Hervorhebung von mir).
Hat sich also gelohnt, auf Ihren Mitarbeiter zu hören, Herr Hitchcock!