Noch besser als Selbsthilfe-Bücher


Kategorie: Leben
| 04.05.2017 | 0 Kommentare

Millionen, ja Milliarden Euro werden ausgegeben für Selbsthilfe-Bücher. Für Ratgeber, die einem helfen, das Leben besser zu meistern. Auch ich stehe darauf, gern kaufe (vorgestern noch vier Stück, Second-Hand) und lese (gerade eben vor einer halben Stunde) ich solche Bücher. Manchmal habe ich sogar etwas aus ihnen gelernt, stellen Sie sich das vor!

Die Mode-Ikone Coco Chanel empfiehlt jedoch eine andere Kategorie von Büchern als Lebenshilfe:

„Hätte ich Töchter, würde ich ihnen als einziges Lehrmaterial Romane schenken.“

Coco Chanel: Die Kunst, Chanel zu sein. Coco Chanel erzählt ihr Leben, aufgezeichnet von Paul Morand, aus dem Französischen von Annette Lallemand, München 2. Auflage 2009

Wirklich? Und wie sieht es mit Ihnen selbst aus, Frau Chanel? Sie sind doch eine Dame von Welt. Und Ihr Wissen …

„Ich bin vielen und hochgebildeten Menschen begegnet, sie waren immer erstaunt über mein Wissen. Was hätten sie wohl gesagt, wenn ich ihnen bekannt hätte, dass ich meine Kenntnis des Lebens aus Romanen geschöpft hatte?“
 
Coco Chanel, a.a.O.

Aber warum denn Romane? Lebenshilfe, das heißt doch, für das wahre Leben etwas zu lernen, für die Realität. Romane aber sind doch erfunden.

„Darin stehen all die ungeschriebenen Gesetze, die den Menschen steuern.“

Coco Chanel, a.a.O.


Ja, jetzt beginne ich Sie zu verstehen. Lebenshilfe, die soll mir helfen, besser mit mir und anderen umzugehen. Und wenn ich „die ungeschriebenen Gesetze, die den Menschen steuern“, kenne, dann fällt mir das leichter. Um so besser, wenn ich diese Gesetze so nebenbei in Romanen vermittelt bekomme.

Welche Romane, welche Autoren empfehlen Sie denn?



„…“

 

Aha, ich sehe, da kommt jetzt von Ihnen nichts. Ist nicht schlimm, dann gebe ich hier selbst einige Empfehlungen. Besser gesagt, meine persönliche Formel:

M & M + D und T - AC

M & M, das sind die beiden Autoren William Somerset Maugham und Guy de Maupassant. Was mir an beiden so gefällt - abgesehen davon, dass es großen Spaß macht, sie zu lesen - dass sie Realisten sind, also keine Träumer, sondern Menschen so beschreiben, wie sie nun mal sind. Das ist nicht immer schmeichelhaft und selten bis nie romantisch, aber hochinteressant - und (worum es mir ja hier geht:) lehrreich. Bei beiden denke ich übrigens an die zahlreichen Erzählungen. Die haben den Vorteil, dass man sie auch mal zwischendurch lesen kann.

Das geht bei „D + T“ leider nicht, da sie ziemlich große Schinken fabriziert haben: „D“ steht für Dostojewskij und „T“ für Tolstoi. Der große Literaturkritiker George Steiner hat ein ganzes Buch mit dem Titel „Tolstoj oder Dostojewskij“ geschrieben und sagte mal in einem Vortrag, man müsse sich für einen von beiden entscheiden*. Ich habe mich entschieden -  für beide. Dostojewskij wird zu Recht als Psychologe gerühmt (ich verzichte hier auf Zitate von Nietzsche & Co.) und Tolstoj hat eine besondere pädagogische Komponente. Wenn man seine Denke nicht teilt, ist das etwas nervig, wenn aber doch (und so geht es mir), um so schöner.

Na ja, und dann noch „AC“, also Agatha Christie. Meiner Meinung nach verdankt sie ihren Erfolg nicht allein den tollen Plots, also Ideen, sondern auch ihrer Menschenkenntnis, die sie Miss Marple und Hercule Poirot in den Mund legt.

Kommen wir zurück auf Coco Chanel. Auch von ihr gibt es einiges zu lernen. Kann ich nur bestätigen, und zwar nach der Lektüre ihres Buches „Die Kunst, Chanel zu sein“. Einen Selbstvermarktungstrick habe ich schon reserviert für ein demnächst erscheinendes Buch von mir. Hier nun zum krönenden Abschluss eine Weisheit von ihr, zugegebenermaßen eine Binsenweisheit, aber eine wichtige:

„Geld ist eine dekorative Zutat zum Leben, aber es ist nicht das Leben.“

Coco Chanel, a.a.O., S. 160.




* Hier noch ein Zitat Steiners zu „D + T“: „Deshalb möchte ich meine unerschütterliche Überzeugung aussprechen, dass Tolstoj und Dostojewskij unter den Romanciers an erster Stelle stehen. […] Sie besaßen die Gabe, durch die Sprache ‚Wirklichkeiten‘ zu erschaffen, die sinnlich und konkret sind und in denen dennoch Leben und Geheimnis des Geistes waltet.“ (George Steiner: Tolstoi oder Dostojewskij, München 1990).


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